Swieg still, Jung! (WE)
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- Veröffentlicht: Samstag, 17. Oktober 2009 06:37
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Wilhelmshavener Erstaufführung
SWIEG STILL, JUNG!
(Schweig Bub!)
Volksstück in fünf Akten von Fitzgerald Kusz
Niederdeutsche Übersetzung Walter A. Kreye
Inszenierung: Arnold Preuß
Bühnenbild: Arnold Preuß, Klaus Panka
Beleuchtung: Peter Pfaus
Requisiten: Marga Goldenstein
Inspizient: Bernhard Bertram
Souffleuse: Katrin Schmidt
Bühnenbildbau: Walter Borraß, Erwin Hildebrandt, Karl-Heinz Goldenstein, Frank Schmidt, Günter Neverla, Klaus Panka
Bühnenmaler: Herbert Ulbrich
Rollen und Darsteller
Fritz, der Konfirmand - Thorsten Könnecke
Grete, sien Mudder - Heidi Rausch
Hans, sien Vadder - Ralf-Rüdiger Bayer
Unkel Willi - Horst Jönck
Tante Anna - Karin Heyel
Gerda, een Bekannte - Margot Andrews-Jäkel
Manfred, ehr Mann - Manfred Janßen
Hannelore, een Kusien - Roswitha Bertz
Thorsten Könnecke is de Jung de egalweg sien Swiegstill hollen schall
FRIESIESCHER HAUSBOTE
Volksstück und Erfolgsstück
Swieg still ,Jung' in Wilhelmshaven
Wilhelmshaven (N). Wie Weihnachten bricht die Konfirmationszeit über die Familien herein. Ein feierlich festlicher Anlaß ursprünglich zur Aufnahme der jungen Christen als mündige Glieder in die Glaubensgemeinschaft. Vorwand und Nebensache ist inzwischen der kirchliche Teil der Konfirmation geworden. Und so fühlen sich die zunehmend von der Eß und Trinkzur Saufund Freßgesellschaft werdenden Verwandten und Bekannten durch die mögliche Ankunft des Herrn 'Paster' geradezu bedroht und nehmen in Erwartung seines Auftauchens hastig feierliche Haltung an. Doch das Warten auf den 'Paster' ist ein wenig wie das ' Warten auf Godot'.
Abgesehen von solchen gelegentlichen Störungen der Bierund Weinseligkeit geben sich die Versammelten zunehmend unbekümmert menschlich und ißt, trinkt und streitet sich dem Höhepunkt entgegen, wo man endlich 'dat Swien' rauslassen kann. Erwachsene unter sich, wie wir es alle kennen. Wäre da nicht noch der jungendliche Konfirmand Fritz. Das mütterliche Gebot "Swieg still, Jung" und die Androhung des väterlichen Machtworts weisen ihm die (fast) stumme Hauptrolle auf seiner eigenen Konfirmantionsfeier zu, bis er dann endlich frühzeitig ins Bett geschickt werden kann und die Erwachsenen keine Rücksichten mehr zu nehmen brauchen. "Frag nich so veel, Jung. Ick habb vandag gor keen Tiet för di." Dieses Mutterwort charakterisiert treffend die Feiersituation.
Kaum hat sich das Gespräch der Erwachsenen einmal zu Konfirmationssprüchen hin verirrt und der Konfirmand mit seiner Prüfungsaufgabe über das Sakrament der Taufe zu Wort kommen darf, weist ihn der Vater wegen der Störung des Sauf und Freßgelages ungehalten zurecht: "Nu hol doch endlich mal dien Sabbel; wi sünd doch nich in de Bibelstund." Ungestört können sich die Erwachsenen dem Eß und Trinkritual hingeben. "Just hebb wi to Middag eeten un denn Koffie drunken un nu gifft all wedder wat... Ick bin an Platzen."
Gaumenfreude und Augenweide
Und das Publikum nimmt daran lebhaft Anteil. "Die sitzen da immer noch. Die sind immer noch am Essen. Das gibt's doch gar nicht." Wie amüsant es sein kann, anderen beim Essen und Trinken zuzusehen, dazu gibt Arnold Preuß' Inszenierung von 'Swieg still, Jung', dem Volksstück von Fitzgerald Kusz in der Übersetzung von Walter. A. Kreye vergnüglich viel Gelegenheit. Ein wenig an das berühmte 'Abendmahl' von Leonardo da Vinci erinnernd steht mitten auf der Bühne eine mächtige Festtafel; dahinter aufgereiht die Festgemeinde. Synchron und gegeneinder versetzt löffelnd, vielstimmig schlürfend, mimisch ausdrucksvoll kauend, das Besteck spalierähnlich zum Empfang des 'Paster' erhebend, werden die Gaumenfreuden auf der Bühne zur Augenweide im Zuschauerraum. Und die immer von neuem üppig eingedeckte Festtafel und die Eß und Trinkleistungen des Ensemble sind allemal gut für Lachen und Szenenapplaus. Nicht zu vergessen der gekonnte Rülpser des Konfirmanden am Ende des ersten Aktes.
Heißer Strip
Zwischen Essen und Trinken bleibt noch Zeit zum Reden. "Soveel ward anners dat ganze Johr bi us nich snackt", stellt die Mutter recht erschöpft fest. Natürlich drehen sich die Gespräche um Essen und Trinken und Rezepte. Auch ein wenig um die Kirche. Und wo ein paar Männer beisammen sind da geht es natürlich auch um die Frauen. Und über Ausland und Urlaub landet man ganz elegant bei Darminfektionen und Problemen mit dem Stuhlgang. Beruf und Bildung, Krieg, Nazis und Gefangenschaft und Emanzipation dürfen nicht fehlen. Bis hin zum handfesten Ehestreit. Über 'schätterige' Witze steigert es sich zum heißen Strip auf der Festtafel.
Komödiantisch bis clownesque
Erwachsene in ihrer unbeweglichen Hilflosigkeit, mit ihren Verletztheiten und Aggressionen, mit ihrer Sprachlosigkeit bei all der vielen Rederei. Ein anrührend traurig komisches Stück. Großartig komödiantisch bis diszipliniert clownesque Horst Jöncks Unkel Willi. Oft derb dumm, doch immer sympathisch zeichnet er diese zentrale Figur gekonnt und überzeugend. Selbst in der Volltrunkenheit und im zur Zwangsjacke umfunktionierten Mantel. Auf sein Spiel gut abgestimmte Partnerin Karin Heyel mit ihrer Tant Anna. Mit kräftigem, aber differenziertem Spiel, die Deftigkeit der Tant Anna genießend, ergänzt und kontrastiert sie Horst Jöncks prächtiges Spiel. Randfigur, sprachlos fast so beginnt Roswitha Bertz die Hannelore. Gut dosiert steigert sie ihr Spiel und verwandelt ihre Figur vom schüchternen Aschenputtel zum wachgeküßten, fast männermordenden, mondänen Dornröschen. Heftig affektiert in Sprache, Gestik und Mimik zeichnet Margot Andrews Jäkel Gerd die 'Möchte gern Gebildete' Nach dem Motto: Das Hoch- deutsch hat mir so gepackt, das läßt mir gar nicht mehr los. Hochzivilisiert ist der Manfred Janßen. Ein wenig wie aus einer anderen Welt des Bildungsbürgertums, bis er dann gedämpft menschlich zu werden wagt, unter dem Einfluß des Alkohols und der weiblichen Reize der Hannelore.
Konfirmantion oder Karneval
Chauvi, autoritärer Vater und Spießer ist Hans, der Vater des Konfirmanden. Ralf Rüdiger Bayer gelingt es diese Figur deutlich herauszuspielen, ohne sie zu überzeichnen. Fleißig bescheidene Hausfrau auf Harmonie bedachte Ehefra verschämt stolze Mutter und dennoch ein wenig verunsichert eitel modische Frau verkörpert Heidi Rausch Grete die Mutter. Und schließlich Fritz, der Konfirmand. Thorsten Könneke hat es nicht leicht. Die meiste Zeit muß er schweigen, entsprechend dem Titel des Stückes. Aber pantomimisch bleibt er stets präsent spielt mit, und er bekommt verdienten Szenenapplaus beim Rezitieren des Sakraments der Heiligen Taufe. Ein betont schlichtes Bühnenbild, das das Spiel der krampfig verlogenen Gesellschaft unterstützt. Amold Preuß hat mit seiner Inszenierung beachtliche Akzente gesetzt. Wenn Tante Anne auch mehrfach warnt: "Hier is Kon firmatschon un kien Kamival.", so wird sich der Zuschauer bei dem vergnüglich hintersinnigen Volksstück von Fitzgerald Kusz nach zwei unterhaltsamen Stunden seine eigene Meinung bilden können, auf welcher Art Veranstaltung er denn nun war.
Es geht hoch her bei der Konfirmation, die meisten sind duun oder schlafen (v.l. Karin Heyel, Heidi Rausch, Ralf-Rüdiger Bayer, Roswitha Bertz, Horst Jönck)
WILHELMSHAVENER ZEITUNG
Der Konfirmand muß schweigen
Niederdeutsche Bühne brachte plattdeutsches Zeitstück
Von Theodor Murken
Fritz ist konfirmiert. Die kirchliche Feier hat ihn, wie man gelegentlich erfährt, tief beeindruckt. Nun sitzt die Familie mit Anhang am Eßtisch: Die Eltern, Onkel und Tante, eine Kusine, zwei Bekannte, vier Frauen, vier Männer. Für den Pastor, den man eingeladen hat, ist noch ein Stuhl frei. Alle Löffeln die Suppe.So weit ist alles gut und schön. Es hat Geschenke gegeben und viele Blumen. Beim Braten kommt die Unterhaltung richtig in Gang. Es kann nicht verborgen bleiben: Sie strotzt von Trivialität. Zwischendurch will auch der Konfirmand etwas sagen: "Swieg still, Jung", fahren ihn seine Eltern an.
"Swieg still Jung" so hat Walter A. Kreye in seiner plattdeutschen Übersetzung das Volksstück betitelt, das 1976 der 1944 in Nürnberg geborene Lyriker und Stückeschreiber Fitzgerald Kusz unter dem Titel "Schweig Bub" verfaßt hat. Es hat in den verschiedensten deutschen Mundarten, berlinisch, bayerisch, rheinländisch, hessisch und schließlich auch in der plattdeutschen Sprache die Bühne erobert.
Volksstücke müssen ja nicht unbedingt vulgär sein, aber hier ist es wohl eine Ausnahme. Das ergibt sich aus der Situation. Selbst, wenn einmal andeutungsweise von Religion und Kirche die Rede ist, geht das schnell unter. Der Pastor wäre sich sein Stuhl blieb leer verloren vorgekommen.
Die Niederdeutsche Bühne am Stadttheater Wilhelmshaven hat das Stück als letztes der Spielzeit, gerade rechtzeitig vor den Konfirmationsterminen herausgebracht, und wenigstens im (lobenswerten) Programmheft Beispiele gegeben, wie man eine Konfirmationsfeier gestalten kann. Der Bühnenleiter Arnold Preuß inszenierte das Stück. Alles spielt sich in einem schlicht gehaltenen Bühnenbild ab mit weißem Hindergrund. Den Darstellern wird allerhand abverlangt. Wenn der Konfirmand auch zu schweigen hat, so hat er darstellerisch doch einiges zu bewältigen, und das machte Thorsten Könnecke als Fritz ausgezeichnet.
Die Männer (Ralf Rüdiger Bayer als der polternde Vadder, Horst Jönck als der überschlaue Onkel, Manfred Janßen als Bekannter, der vor allem beim Skat seinen Mann stand) kamen in Form, je zunehmender sie die Betrunkenen zu spielen hatten.
Von den Frauen hatte die Kusine Hannelore auch zu tief ins Glas geguckt. Roswitha Benz mußte in dieser Rolle einige Szenen zum Besten geben, die schauspielerische Kunst forderten. Karin Heyel verstand sich als Tante Anna in dem Geschick, immer das Wort zu behalten, was der Konfirmand zu wenig, sprach sie zuviel. Margot Andrews Jäkel war die Aufgabe zugefallen, hochdeutsch nicht nur geziert, sondern auch falsch zu sprechen.
Wie das bei solchen Familienfeiern so ist, hatte die Mutter des Konfirmanden die meiste Arbeit und die größte Last, in diesem Stück aber auch den größten Ärger durch ihren Mann, der aus dem Volksstück fast ein Drama machte. Diese Rolle lag bei Heide Rausch in besten Händen, als ein ruhender Pol im bewegenden Ablauf des Essens, Trinkens. Das fast vollbesetzte Haus nahm das Stück, mit dem der Autor den Menschen einen Spiegel vorhält, mehr als Burleske auf, viele amüsierten sich auch da, wo es nichts mehr zu lachen gab, eher ein Anlaß zum Traurigsein war. Doch ist anzunehmen, daß so mancher auch nachdenklich nach Hause gegangen ist.
Sie philosophieren über Gott und die Welt (Ralf-Rüdiger Bayer, Roswitha Bertz, Horst Jönck)
JEVERSCHES WOCHENBLATT
Eingeladen macht nicht dick sagte sie und aß
Niederdeutsche Bühne erhielt tosenden Beifall für das Stück "Swieg still, Jung`
(js) Wilhelmshaven. Als sich am Sonntagabend bei der Niederdeutschen Bühne Wilhelmshaven zum fünften und letzten Mal in der Spielzeit 1989/90 der Premierevorhang hob, hörte man nur ein lautes Schlürfen. Im Dunkeln konnte man zuerst nur die Umrisse einer kleinen Gesellschaft erkennen, die um einen großen runden Tisch saßen und speisten. Allmählich wurde es auf der Bühne heller, das Schlürfen nahm zu und zum Vorschein kamen acht Personen, die eine Konfirmation feierten und genüßlich, die ach so gut schmeckende "Klütensuppe" löffelten. "Wann heff wi dat letztmol, so'n lekker Klütensopp hat", fragt die geladene Tante Anna ihren Mann Onkel Willi und eröffnet damit eine Gesprächsrunde, die es in sich hat. "Eingeladen macht nicht dick", meint sie lakonisch weiter, als man zum Thema Abnehmen gelangt und läßt sich den Braten schmecken.
Vom Mittagessen bis zum nächtlichen Mahl wird hier eine Konfirmationsfeier dargestellt, wie sie hier und da, vielleicht bei manch' einem im Saal sitzenden Zuschauer, wenn auch nur Auszugsweise, zugetragen hat. Wenn einem zu Beginn der Vorstellung auch kurz der Gedanke aufkam, nun zwei Stunden lang ein langweilig satirisches Wortgeplänkel über Gott und die Welt über sich ergehen lassen zu müssen, mußte bereits nach dem ersten Akt den Darstellern Abbitte tun. Denn was die Niederdeutschen mit ihrem Volksstück "Swieg still, Jung" dem Publikum darbot, war etwas Einzigartiges, das immer wieder mit Beifall auf offener Szene und einem tosenden Schlußapplaus bedacht wurde.
"Der Konfirmand kommt ja gar nicht zu Wort! Auf den wird nur so eingesprudelt. Als Konfirmandwird man abgeschoben irgendwie, wenn die Verwandten zusammen sitzen, eigentlich sollte er ja im Mittelpunkt stehen! Konfirmand Jahrgang 1979", so steht es unter "Erinnerungen an die Konfirmation" im Programmheft. Und so ergeht es auch dem Konfirmanden Fritz in dem Volksstück von Fitzgerald Kusz. Da sitzt er nun an der großen Tafel zwischen Onkel und Tante, einer Kusine, seinen Eltern und einem befreundeten Ehepaar. Und die reden und reden und essen und trinken und reden und sagt er etwas, heißt es nur "Swieg still, Jung". Kein Thema wird ausgelassen, die Gesprächspalette reicht vom Abnehmen über Dallas bis zum Kirchengeld und schließlich kommt man zum Thema Nr. 1 dem "Sex". Deftige Witze bleiben nicht aus, der Ehekrach ist vorprogrammiert und dem Alkohol mächtig zugesprochen, kommt es als Höhepunkt in den Nachtstunden noch zu einem "Striptease" und das alles auf einer Feier, die einem 14jährigen gewidmet ist, aber der ist ja schon längst im Bett.
Dem Regisseur Arnold Preuß ist es wieder einmal gelungen, ein bereits in vielen Mundarten erfolgreiches Stück, dem niederdeutschen Publikum näherzubringen. Das von Walter A. Kreye ins Plattdeutsche übersetzte Volksstück ist reich an Wortgeplänkel, teils humorvoll, teils vulgär und auch nachdenklich stimmend. Es lebt durch die hervorragende Darstellung der einzelnen Festteilnehmer. Thorsten Könnecke als Konfirmand Fritz, hatte zwar nicht viel zu sagen, doch seine Darstellung des fast "Schweigsamen" war hervorragend. Seine Tante Anna, ausgezeichnet interpretiert von Karin Heyel, war das krasse Gegenteil, ihr Mundwerk stand nicht still, immer brachte sie Stimmung in die Unterhaltung. Margot Andrews Jäkel spielte die Bekannte Gerda, die immer vom Abnehmen sprach, aber eine Salzstange nach der anderen genüßlich knapperte. Roswitha Bertz als Kusine Hannelore, hatte die betrogene Ehefrau zu spielen, was ihr auch gut gelang. Mit ihrem Spriptease brachte sie die "Fete" ganz schön auf Touren. Die Rolle der Hausfrau und Mutter meisterte Heidi Rausch. Immer wieder sorgt sie dafür, daß alle genug zu Essen und Trinken haben und hat dadurch die größte Last des Tages zu tragen. Der von ihr und ihrem Mann Hans (Ralf Rüdiger Bayer) inszenierte Ehekrach gab dem Volksstück einen Hauch von Dramatik. Bleibt nur noch Onkel Willi (Horst Jönck) und den Bekannten Manfred (Manfred Janßen) zu erwähnen, die gemeinsam mit Vater Hans ausgiebig den Alkohol zusprachen und nicht ganz schuldlos daran waren, daß die Festlichkeit allmählich außer Kontrolle geiet.