Halsbreken Grappen (NDE)
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- Veröffentlicht: Samstag, 17. Oktober 2009 07:00
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Niederdeutsche Erstaufführung
HALSBREKEN GRAPPEN
(Ein Sommerabend im Wintergarten - Dangerous Obsession)
Kriminalthriller von Norman J. Crisp, Deutsch von Renate und Christian Quadflieg
Niederdeutsch von Arnold Preuß
Inszenierung: Günter Boye
Bühnenbild: Günter Boye
Bühnenbildbau: Walter Borraß, Alfred Christoffers, Erwin Hildebrandt
Bühnenmaler: Herbert Ulbrich
Bühnentechnik: Klaus Panka, Sönke Kiewitt, Siegfried Margowski,
Günter Newerla, Gesienus Thomas
Beleuchtung: Peter Pfaus, Uwe Freiberg
Inspizientin: Helga Borraß
Souffleuse: Anne Hillers
Requisiten: Angelika Lauxtermann
Rollen und Darsteller
Jan Garrelts - Michael Hillers
Silvia Dresen - Marion Zomerland
Martin Dresen - Arnold Preuß
Jan Garrelts (Michael Hillers) ist zu allem entschlossen, auch auf Martin Dreesen (Arnold Preuß) zu schießen
WILHELMSHAVENER ZEITUNG VOM 13. FEBRUAR 1995
Publikum auf spannenden Psychotrip geführt
Premiere des Drei Personen Kriminalthrillers "Halsbreken Grappen" im Stadttheater
Von Ernst Richter
Zu dem getragenen Musikstück "Valse Tristesse" von Jean Sibelius öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf einen exklusiven Wintergarten im Landhausstil mit Hausbar und einladendem Sitzensemble. Durch die Fenster wandert der Blick über den blühenden Hausgarten auf eine reizvolle Sommerlandschaft. Vögel zwitschern. Eine friedvolle Stimmung, die Dämmerung wird sich demnächst einstellen. Hier in dem alten Kapitänshaus residiert das gut betuchte Ehepaar Silvia und Martin Dreesen. Silvia im Badedreß und leichtem Negligé ist damit beschäftigt, die Zimmerpflanzen zu gießen. Ab und zu nimmt sie auch selbst einen Schluck an der Hausbar.
Auf einmal ist diese ruhevolle Idylle dahin. Ein Fremder betritt durch die Terassentür den Raum. Dieser ungebetene Gast Jan Garrelt stellt Fragen. Zunächst belanglos. Silvia hält ihn anfangs für einen Vertreter und weist ihm die Tür. Der Mann geht zunächst auch, kehrt aber umgehend zurück, schließt die Terrassentüre ab und versteckt den Schlüssel. Unheil droht. Die Situation scheint brenzliger zu werden. Der Fremde erinnert an einen gemeinsam verbrachten Abend. bei dem viel getrunken wurde. Silvia mußte später eingestehen, richtig besoffen gewesen zu sein. Die Kontroverse flackert auf. Endlich kommt ihr Mann Martin nach Hause. Zu dritt wird die Unterhaltung fortgesetzt und mit Longdrinks alkoholisch aufgeheizt.
Der bis dahin gepflegte Umgangston wird zunehmend bissiger, ironischer und direkter. Plötzlich zieht der Fremde einen Revolver aus seiner Tasche, richtet ihn auf Martin Dreesen. Zwei Schüsse krachen. Das Glas in der Hand des Hausherrn zersplittert. Die zweite Kugel reißt ein Bild von der Wand. So endet der erste Akt des plattdeutschen Kriminalthrillers "Halsbreken Grappen".
Am Freitag war Premierenvorstellung der Niederdeutschen Bühne Wilhelmshaven im Stadttheater.In der Pause rätselt das Publikum, wie das Stück wohl weitergeht, was passieren wird. Der Engländer N. J. Crisp hat das Kriminalstück "Dangerous Obsession" geschrieben, in Hochdeutsch übertragen von Renate und Christian Quadflieg mit dem Titel ..Ein Sommerabend im Wintergarten", plattdeutsch übersetzt von Arnold Preuß. Eigentlich ist es eher ein Psycho- , denn ein Kriminalthriller, den Günter Boye als Speelbaas inszeniert hat. Das Ehepaar Silvia und Martin Dreesen spielen Marion Zomerland und Arnold Preuß, den ungebetenen Gast Jan Garrelt stellt Michael Hillers dar. Alle drei bieten in diesem Dialogstück, das vor der Pause streckenweise Hörspielcharakter hat, eine profihafte Bühnenleistung.
Arnold Preuß kniet sich mit Bravour und Vehemenz in seinen Part, der damit an einigen Ecken einer gewissen Situationskomik nicht entbehrt, während Michael Hillers als Jan Garrelt fast immer ein wenig zu cool bleibt. Man möchte ihm zurufen, Junge kehre ein bißchen die Gefühle dieses Jan Garrelt nach außen, spiele sie unverkrampft aus. Marion Zomerland trifft genau das Wesen dieser ausdrucksvollen Rolle der Silvia Dreesen, gestaltet sie charmant und packend mit den wechselvollen, empfindlichen Reaktionen einer jungen Frau. Wie es im zweiten Akt weitergeht, darf hier mit Rücksicht auf die kommenden Theaterbesucher nicht verraten werden. Auf alle Fälle wird es nach der Pause dramatisch. Menschliche Schwächen werden aufgedeckt, eingestanden und ein Unfall aufgeklärt.
"Halsbreken Grappen" wurde vor einem Jahr von der Niederdeutschen Bühne Osterholz Scharmbeck aufgeführt. Dort erlebte Arnold Preuß die spannende Aufführung und nahm sie prompt ins Programm der Wilhelmshavener Bühne auf. Und weil Preuß als Bühnenleiter selbst so gern Theater spielt, schlüpfte er auch in die Rolle des Martin Dreesen hinein. Das lebendige Bühnenbild bauten Walter Borraß, Arnold Christoffers und Erwin Hildebrandt, Ausstattung Angelika Lauxtermann. Mit diesem Krimi wird die Wilhelmshavener Bühne am 17. Februar in Oldenburg beim Niederdeutschen Theatertreffen gastieren. Außerdem will sich die Niederdeutsche Bühne damit um den Willy-Beutz-Schauspielpreis bewerben. Dafür hat sie übrigens noch zwei weitere Eisen im Feuer, nämlich die Studio Produktion ,.Josef und Maria" von Peter Turrini und "Bottervagels sünd free" von Leonard Gershe aus der vergangenen Spielzeit.
Martin (Arnold Preuß) ist mit den Nerven am Ende, kann Silvie (Marion Zomerland) ihm helfen
JEVERSCHES WOCHENBLATT vom 14. Februar 1995
"Halsbreken Grappen" ein spannungsreicher Thriller
Niederdeutsche Bühne präsentierte anspruchsvolle Aufführung
Von Jutta Schmidt
Wilhelmshaven. Atemlose Stille herrschte am Freitag abend zeitweise im Zuschauerraum des Stadttheaters, als die Niederdeutsche Bühne ihren Kriminalthriller ,.Halsbreken Grappen" aufführte. Zwei Stunden lang saßen die Besucher wie gebannt auf ihren Plätzen und verfolgten mit immer steigender Spannung. was sich vor ihnen auf der Bühne abspielte. Und so war es auch nicht verwunderlich, daß das Publikum noch Sekunden, nachdem der Schlußvorhang gefallen war, in Anspannung verharrte, bis tosender Beifall die Stille durchbrach.
Mit "Dangerous Obsession", so der englische Titel des Krimis, gab der Schriftsteller Norman J. Crisp 1985 Sein Debüt als Bühnenautor. Sein Stück wurde mit großem Erfolg am Forme Theatre in London und schließlich an vielen englischen Provinzbühnen aufgeführt. Renate und Christian Quadtlieg übertrugen diesen Thriller ins Deutsche und machten daraus .,Einen Sommerabend im Wintergarten". Aber damit nicht genug, auch Arnold Preuß von der Niederdeutschen Bühne war von dem Stück begeistert, übersetzte es schließlich ins Niederdeutsche und machte daraus "Halsbreken Grappen".
Halsbreken Grappen" ist eine Kriminalgeschichte. die bei den Betreffenden an Grenzen körperlicher und seelischer Belastungen stößt. Ein Thriller, dessen Verlauf nicht annähernd erahnt werden kann. alle möglichen Thesen, die sich der Zuschauer während der Aufführung über den Ausgang des Krimis vielleicht schon gemacht hatte, werden schließlich wie eine Luftblase zerplatzen. Es sollte ein Wochenende zu zweit werden. das Silvia und Martin Dreesen (Marion Zomerland und Arnold Preuß) gemeinsam in ihrer wunderschönen alten Kapitänsvilla mit Wintergarten verbringen wollten. Aber plötzlich werden sie durch einen unbekannten Mann gestört. Der Fremde erpuppt sich als Jan Garrelts (Michael Hillers). den sie vor Wochen auf einer Tagung in Kiel kennengelernt haben.
Man freut sich über den Besuch, trinkt ein Gläschen zusammen, in der Hoffnung. daß der Besucher bald wieder verschwindet. Aber ohne daß das Ehepaar Dreesen es merkt, werden sie Gefangene in ihrer eigenen Villa, und Jan Garrelt fängt an, Fragen zu stellen, die von Silvia und Martin nur widerwillig beantwortet werden. dringen sie doch weit in die Intimsphäre eines jungen Ehepaares ein. Der scheinbar depressive Besucher setzt die Beiden mit seinen Fragen systematisch unter Druck, bis sie nur noch ein nervliches Bündel sind. Ein Autounfall. in den die Frau von Jan Garrelt verwickelt war. spielt dabei eine große Rolle. Als die ersten Schüsse fallen. wird klar. in welcher gefährlichen Situation sich die Dreesens befinden. Der am Anfang so souverän aufgetretene Geschäftsmann Martin Dreesen und seine aparte verwöhnte Frau werden angesichts der ihr vorgehaltenen Pistole von Jan Garrelt zu Menschen, die sogar auf die Knie fallen und um ihr Leben kämpfen. ein dramatischer Kampf beginnt.
Arnold Preuß begnügte sich nicht damit. eine Niederdeutsche Fassung zu schreiben, sondern er schrieb sich den Part des Martin Dreesen förmlich auf den Leib. Seine Darstellung des Martin Dreesen, der vom selbstbewußten Geschäftsmann abgleitet zu einem Menschen, der in die Enge getrieben wird, der vor Garrelt auf Knien kriecht und um sein Leben bettelt, war eine Meisterleistung. Seine Gestiken und Mimiken brachten seine Ängste zum Ausdruck und gingen unter die Haut. Aber auch Marion Zomerland war wie geschaffen für die Rolle der Silvia Dreesen. Mit ihren schauspielerischen Leistungen war sie eine hervorragende Ergänzung zu Arnold Preuß.
Großen Eindruck hinterließ ebenfalls Michael Hitlers als Jan Garrelts beim Publikum. Seine Interpretation des unheimlichen Besuchers, der Fragen stellte, als habe er das Recht über diese beiden Menschen und dessen Handeln zu urteilen, wurde mit Spannung verfolgt. Denn letztendlich geht es in dem Stück um die Bedeutung des moralischen Grundsatzes: "Wir müssen alle die Verantwortung für die Konsequenzen unseres eigenen Handelns übernehmen." Doch wer weiß schon im voraus seines Handelns. mit welchen Konsequenzen er eines Tages zu rechnen hat.
Wie das Schicksal Konsequenzen herausfordern kann. zeigt "Halsbreken Grappen". Ein packender, psychologischer Thriller, der von den Niederdeutschen meisterhaft interpretiert wurde. Wer eine seichte plattdeutsche Aufführung erwartet, sollte zu Hause bleiben, hier wird anspruchsvolles Niederdeutsches Theater gezeigt.
Silvie (Marion Zomerland) findet Jan (Michael Hillers) auf Dauer sehr langweilig und will ihn loswerden
NORD-WEST-ZEITUNG
Cooler Fremder im Wintergarten
Erstaufführung des Thrillers "Halsbreken Grappen" im Wilhelmshavener Stadttheater
Von Ernst Goetsch
Wilhelmshaven. Frau Silvia jung und schön und reich sonnt sich im sommerlichen Wintergarten. Doch ihr Feierabendfrieden im Nobelheim währt nicht lange. Ein Schatten der Vergangenheit zieht ein in Gestalt des mysteriösen Herrn Jan. Der hat im Gegensatz zu anderen Gästen nicht Blumen oder Konfekt mitgebracht, sondern einen Ballermann! Und diesen Ballermann richtet er gegen den heimkehrenden Hausherrn Martin.
Das Publikum im Wilhelmshavener Stadttheater darf 45 Minuten, fast einen ganzen Akt lang, darüber grübeln. was denn der coole Fremde eigentlich will. Erpressung'.' Nötigung? Rache? Warum? Weshalb? Wieso . . .? Erst nach der Pause kommt Schicht um Schicht des Pudels Kern zu Tage. Und wenn das Publikum glaubt, nun vollends klarzusehen, hagelt es noch einen Gag und noch einen . . . Denn Mr. N. J. Crisp, der Autor dieses Verwirrungs- und Droh- Spiels, ist ein perfekter Hochspannungselektriker.
Im englischen Original ("Dangerous Obsession") machte Mr. Crisps Schocktherapie Furore, in der hochdeutschen Fassung des Übersetzerpaares Renate und Christian Quadfieg ("Sommerabend im Wintergarten") schlug sie gleichfalls gut ein. Nun aber sprechen die Crisp-Figuren dank Übersetzer Arnold Preuß plötzlich Mundart und präsentieren "Halsbreken Grappen" frei übersetzt: "gefährlich-verrückte Einfälle".
Wenn nicht alle diese Einfälle auf Anhieb zünden, so liegt das u. a. an der Eigenart des Niederdeutschen, dessen unverschnörkelte, sehr "direkte" Sprache nicht immer voll jene intellektuelle Härte und Sprödigkeit zu vermitteln vermag, die mit der englischen respektive hochdeutschen Zunge des dämonischen Herrn Jan ins Spiel kommt.
Zum anderen bleibt (auch bei Handlungsfortgang) spürbar, daß Regisseur Günter Boye nur für zwei der drei Rollen eine rundum zufriedenstellende Besetzung gefunden hat. Marion Zomerland gibt eine "genervte" Silvia zwischen Entsetzen und Aufbegehren mit überzeugenden Ausdrucksmitteln; Arnold Preuß als unmittelbar gebeutelter Hausherr biegt und windet sich gleichfalls respektabel. Doch der unheimliche Gast (Michael Hillers) bleibt fast den ganzen Abend über etwas blaß. Offensichtlich hat Hillers Furcht, den Gerechtigkeitsfanatiker Jan allzu psychopathisch erscheinen zu lassen. Regisseur Boye hätte ihm Mut machen sollen, etwas mehr und etwas öfter die coole Art seines Agierens zu überspringen.
Das Publikum quittierte das wechselvolle Spiel von einem der auszog, andere das Fürchten zu lehren, mit langem Beifall. Am heutigen Freitag (17. Februar, 19.30 Uhr, Cäcilienschule) werden die "Halsbreken Grappen" aus Wilhelmshaven im Rahmen des Niederdeutschen Theatertreffens auch den Oldenburgern vorgeführt.
Hier wird gleich scharf geschossen, oder nicht? (v.l. Arnold Preuß, Marion Zomerland, Michael Hillers)