Niederdeutsche Erstaufführung am 7.11.1986

LILIOM

Vorstadtlegende in sieben Bildern und einem szenischen Prolog von Franz Molnar

Niederdeutsch von Hans-Peter Renz

Inszenierung: Harald Dornseiff (a.G. von der Landesbühne Niedersachsen Nord)
Regieassistenz: Wilma Welte
Bühnenbild: August Ahlers
Kostüme: Ilse Barlag (Landesbühne Niedersachsen Nord)

Bühnenbildbau: Klaus Panka, Karl-Heinz Goldenstein, Uwe Rozga, Norbert Ungermann, Walter Borraß, Bernhard Bertram, Rolf Esen
Bühnenmaler: Herbert Ulbrich
Beleuchtung: Peter Pfaus, Erwin Telgmann
Souffleuse: Helga Lauermann
Requisiten: Marga Goldenstein
Inspizienten: Willy Meinert, Michael Müller

Rollen und Darsteller
Liliom - Arnold Preuß

Julie - Marion Zomerland
Fro Muskat - Hildegard Steffens
Luise - Dagmar Karstens
Fro Hollunder - Hanna Christoffers
De junge Hollunder - Günter Jaedeke
Fiscur - Wilfried Pampuch
Wolf Beifeld - Jürgen Tapken
De frömde Gendarm - Claus Miehlke
De Discher - Willy Meiner
Linzmann - Horst Karstens
De Kriminalkommissar - Günter Boye
Berkovics - Horst Karstens
De Himmelskonzipist - Günter Boye
De ole Gendarm - Karl-Heinz Schröder
Twee Schutzlüüd - Michael Müller, Klaus Panka
Twee Himmelsdetektive - Michael Müller, Günter Jaedeke
De Doktor - Karl-Heinz Schröder
Dr. Reich - Horst Jönck
Stephan Kadar - Klaus Aden
Een Deenstdeern - Helga Lauermann

Arnold Preuß in der Titelrolle "Liliom"

NORDWEST-ZEITUNG

Ein Jahrmarktsrauhbein mit Marzipanherz

Ferenc Molnars unverwüstlicher "Liliom" in niederdeutscher Version

Von Ernst Goetsch

Wilhelmshaven. Er ist nicht totzukriegen, dieser Tausendsassa: 77 Jahre nach seiner Zeugung durch den ungarischen Komödiendichter Ferenc Molnär (1878 - 1952) feiert Liliom, der rauhherzige Jahrmarktsausrufer der Urgroßelternzeit, fröhliche Urständ. Nachdem dieser unverwüstliche Held einer mit viel Poesie angereicherten Vorstadtlegende schon auf die Leinwand (1934) und, arg verfremdet, in ein Broadway Musical (1945) gesprungen ist, kommt er dem Publikum nun auch noch "op Platt". Denn Hans-Peter Renz, Bühnenautor, Regisseur und Darsteller hat den Liliom von Alfred Polgars erfolgreicher hochdeutscher Bearbeitung in norddeutsche Mundart übertragen.

Die Uraufführung dieser jüngsten Liliom Version durch die Niederdeutsche Bühne Wilhelmshaven löste beim Publikum zwar anfänglich etwas Verwirrung aus, weil sich auf der Bühne viel Ungewohntes vollzog (ein Arme Leute Spiel zwischen Realität und Traum, zwischen Jenseits und Diesseits), doch am Ende wurde die von Harald Dornseiff sanft behutsam inszenierte, von Augus Ahlers liebevoll romantisch ins Bild gesetzte Liliom Story mit sattem Applaus honoriert. Das aber ist wohl vor allem das Verdienst des Übersetzers Renz, der deutlich zu machen wußte, daß "die alte Geschichte" von ihm bewußt in ihrer Zeit belassen auch außerhalb des Dunstkreises von Gulasch und Paprika ihren Reiz und ihren Wert hat. Renz hielt sich durchgehend an die Molnär und Polgar Vorgaben, und er ließ dem Liliom, wie auch seiner Umwelt, in der niederdeutschen Sprache den nachempfindbaren Ausdruck von kleinbürgerlichem Gefesseltsein: Schmale Existenz zwischen Drangsal und Sehnsucht; Unvolllkommenheit im harten Alltag und risikoreiche Flucht in Traumziele. Auch niederdeutsch schwingt da viel Poesie im Wechsel zwischen rauhen Tönen der Selbstbehauptung und zarter Beseeltheit in gefährdeten Beziehungen mit.

Julie (Marion Zomerland) und Liliom (Arnold Preuß) - die Kritk fand die Darstellung wunderbar

An der weithin gut abgestuften Übersetzung Renz' lag's nicht, daß bei der Uraufführung die hier nun einmal vorgeschriebenen krassen Sprünge zwischen dem Gestern und dem Heute, zwischen bitterem Ernst und verspielter (ironischer) Heiterkeit gelegentlich ins Banale oder in ungewollt vordergründige Komik umzukippen drohten. Ein Beispiel: Die 1909 in zwei Handlungsschienen ausgebreitete poetische Passage von Lilioms derber Handgreiflichkeit, die den Frauen rückblikkend fast wie ein Streicheln erscheint, ist doch wohl 1986 angesichts aktueller Diskussion zum Thema "Gewalt gegen Frauen" kaum noch widerspruchslos hinzunehmen.

Regisseur Dornseiff setzte unverkennbar auf Weichzeichner Effekt, indem er den Liliom Darsteller Arnold Preuß sehr verhalten agieren ließ: Kein uriges Mannsbild mit überwiegend rauhem Gehabe (das seelische Verletztbarkeit überdecken soll), eher ein armer Teufel, der sich an Rechthaber Naturen wundreibt und in heilloses Dilemma rutscht. An den dröhnig rustikalen Liliom des Hans Albers darf man dabei nicht denken ... Bei Preuß sticht eher weiches Herz als trutzige Widerborstigkeit.

In entsagungsvollen Ton eingewiesen erscheint Lilioms Julie (Marion Zomerland: sehr leise, zaghaft). Dagen wirken "das naive Kind vom Lande", die am Handfesten orientierte Marie (Margot Andrews Jäkel), und besonders die vitale, auf ein auch dem Geschäft dienliches Mannsbild erpichte Karusselbesitzerin Muskat (Hildegard Steffens) komödiantisch variabler.

Es gab starke Szenen, und es gab Phasen, in denen Molnärs akzentuierte Gesellschaftskritik etwas blaß über die Rampe kam. Doch, insgesamt betrachtet, könnte sich dieser niederdeutsche "Liliom" als ein probates Würzmittel für das Programm von Mundart Bühnen erweisen, die wegen des Fehlens zeitgenössisch orientierter und artgebundener neuer Stücke auf Übersetzungen alter "Renner" anderen Zungenschlags erpicht sind.

Die ehemalige Chefin Fro Muskat (Hildegard Steffens) will ihren Ausrufer Liliom (Arnold Preuß) zurückholen.

JEVERSCHES WOCHENBLATT

Unfähig, Liebe in Worte zu kleiden

Beifallumrauschte Premiere zu "Liliom"

Von Jutta Schmidt

Wilhelmshaven. "Kann dat denn ween, dat man slagen ward, un nix marken deit?" Mit dieser Frage endete am Freitagabend die Premiere der plattdeutschen Uraufführung "Liliom" der Niederdeutschen Bühne Wilhelmshaven im Stadttheater. Arnold Preuß als Liliom und Marion Zomerland als Julie, den Hauptpersonen der Aufführung "Liliom" und 17 weiteren Spielleuten, dankte das Publikum mit tosendem Beifall für ihre hervorragende schauspielerische Darbietung. Obwohl "Liliom" bereits im Jahre 1908 von Franz Molnär niedergeschrieben wurde, erleben auch noch heute viele Paare das gleiche Schicksal wie Liliom und Julie. Zwei Menschen lernen sich kennen, verlieben sich, heiraten, und sind trotzdem nicht in der Lage, sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen und ein Gespräch zu führen.

Auch Julie und Liliom verlieben sich ineinander, sie ein Dienstmädchen und er ein Ausrufer auf einem Karussell auf einem Rummelplatz. Doch bevor ihre Liebe richtig erblüht, wird sie im Keim erstickt. Sie sind zwar des echten Gefühls fähig, aber nicht in der Verfassung, es zu nutzen. Jeder lebt mehr oder weniger für sich. Bis es zum Drama kommt.

Die ganze Geschichte an dieser Stelle zu erzählen, würde dem Stück nicht gerecht werden. Denn das Eigentliche dieser Aufführung, es geht um das tiefe Gefühl zweier Menschen, muß man selber spüren. Als Zuschauer leidet man mit Julie und Liliom möchte man mit einem Schlag zur Vernunft bringen, so wie er seine Julie geschlagen und später dann seine Tochter Luise, die dann fragt: "Kann dat denn ween, dat man slagen ward, un nix marken deit?" Nur wer diese Aufführung miterlebt, kann den Sinn dieser Frage verstehen.

Vor einem kunstvollen Bühnenbild, dargestellt wurden ein Rummelplatz, ein armseliges Fotoatelier, ein Bahndamm, ein Gartenhäuschen und das himmelische Gefilde, boten die Mitglieder der Niederdeutschen Bühne dem Publikum eine Aufführung besonderer Leistung. Vor allem Arnold Preuß und Marion Zomerland meisterten die Hauptrollen perfekt.

Fiscur (Wilfried Pampuch) überredet Liliom (Arnold Preuß)  zu einem Raubüberfall

Die Regie bei "Liliom" führte Harald Dornseiff und seine Helferin war Wilma Welte. Die plattdeutsche Übersetzung schrieb Hans Peter Renz und August Ahlers vom Oldenburgischen Staatstheater entwarf die Bühnenbilder. Folgende Spielleute waren an der gelungenen Premiere beteilitgt: Hildegard Steffens, Dagmar Karstens, Hanna Christoffers, Günther Jaedeke, Wilfried Pampuch, Jürgen Tapken, Claus Melke, Willy Meinert, Horst Karstens, Günter Boye, Karl Heinz Schröder, Klaus Panka, Mchael Müller, Horst Jönck, Klaus Aden, Marie Margot Andrews Jäkel sowie Arnold Preuß und Marion Zomerland.

Weitere Aufführungen sind am 12., 16., 23., 26. November und am 5. Dezember, außerdem am 13. November in Sande und am 28. November in F'groden.

WILHELMSHAVENER ZEITUNG

Liliom nun auch niederdeutsch

Der Held des Rummelplatzes auf der Bühne des Stadttheaters

Von Barbara Schwarz

Der Hallodri heißt Andreas Zavoczki. Zavoczki nach der Mutter. Aber das Theaterpublikum in der ganzen Welt kennt ihn nur als Liliom. Geschaffen hat ihn der ungarische Autor Ferenc Molnär(1878 1952) im Jahre 1909. Bei der Uraufführung von "Liliom" im Budapester Lustspieltheater fand der nichtsnutzige Karussellausrufer Liliom aber noch keine Gnade. Erst als Alfred Polgar ihn 1913 zum Wiener umgewandelt und auf der Bühne des Theaters in der Josefstadt herausgebracht hatte, schloß ihn das Publikum ins Herz, und er trat seinen Siegeszug in alle Welt an. So liefen in einer Spielzeit in New York sogar drei Liliom Inszenierungen parallel: eine auf Deutsch, eine auf Englisch und eine auf Jiddisch.

Verkörpert haben die Figur des Liliom seit jenen ersten Theaterjahren viele berühmte Schauspieler, von Gustav Waldau über Kari Brühl, Josef Jarno und Max Pallenberg bis hin zu Hans Albers, Josef Meinrad und Helmut Lohner. Mohärs "Liliom" ist ein märchenhaftes, anrührendes, überaus kunstvolles Volksstück. Es bietet nicht nur dem Darsteller der Titelrolle wunderbare schauspielerische Möglichkeiten, sondern darüber hinaus bis in die kleinsten Nebenrollen herrliche Aufgaben für ein Ensemble.

Julie (Marion Zomerland) trauert um Liliom (Arnold Preuß)

Nachdem Mohärs Stück in aller Welt gespielt und in so viele Sprachen übersetzt worden ist, was lag näher, als dieses herzergreifende Spiel um Liebe, Schuld und Sühne auch ins Niederdeutsche zu übertragen? Die Niederdeutschen Bühnen sind wie alle Mundartbühnen verlegen um gute Stoffe, um neue Stoffe. Und Hans Albers hatte als Liliom gezeigt, daß der Held der Dienstmägde und des Rummelplatzes durchaus nicht nur auf dem Prater, sondern auch auf einem norddeutschen Jahrmarkt zu Hause sein kann.

Der Schauspieler, Regisseur und Autor Hans Peter Renz (Bremen) übertrug Mohärs Welterfolg ins Niederdeutsche. Die Niederdeutsche Bühne am Stadttheater Wilhelmshaven brachte "Liliom" an diesem Wochenende als niederdeutsche Uraufführung heraus. Mit einem beachtlichen Aufwand h der Ausstattung Bühnenbildentwurf August Ahlers (Oldenburg) und an Darstellern hob Harald Dornseiff von der Landesbühne Niedersachsen Nord als Speelbaas "Liliom" aus der Taufe.

Niederdeutsche Bühne wagte sich auf Neuland

Dornseiff konzentrierte das Spiel auf die wesentlichen Züge des Handlungsrahmens. Seine Inszenierung zeigt trotz der Beschränkung die Grenzen auf, innerhalb derer eine von Semiprofessionals getragene Bühne wie die Niederdeutsche ein bei aller Schlichtheit und Volkstümlichkeit doch so schwierig auszubalancierendes Stück umzusetzen vermag. Es ist aller Ehren wert, daß die Niederdeutsche Bühne sich auf Neuland und an ein allein vom Umfang her auch vom Gehalt nicht unproblematisches Stück heranwagte.

Man darf eine solche "Liliom" Aufführung fairerweise auch nicht mit der einer Profi-Bühne oder gar einer exzellenten Star Aufführung vergleichen. Vielmehr muß man bewundern, wie wunderbar sich die warme niederdeutsche Sprache gerade für dieses Stück eignet und mit welch ungeheurer Anstrengung auf und hinter der Bühne versucht worden ist, die ganz eigene Poesie dieses Molnär Stückes zum Blühen zu bringen.

Das gelang in einigen Szenen dem Prolog auf dem Rummelplatz, der Szene im Stadtwald, dem Bild im Jenseits und im Schlußbild überzeugend. Andere Szenen rührten durch ihre bemühte Hilflosigkeit. Der Beifall des Publikums im fast ausverkauften Stadttheater galt vor allem Bühnenleiter Arnold Preuß als Liliom und Marion Zomerland als seiner Julie. Aber auch Hildegard Steffens als Karussellbesitzerin Fro Muskat, Margot Andrews Jäkel als Marie, Hanna Christoffers als Fro Hollunder, Günter Boye als Kriminalkommissar und Himmelskonzipist, Horst Jönck und Klaus Aden als zwei Selbstmörder im Himmel, Wilfried Pampuch als Bösewicht Fiscur und Jürgen Tapken als spießiger Wolf Beifeld gaben einer Aufführung Farbe, in der die Niederdeutsche Bühne merkwürdigerweise unter ihrem sonstigen spielerischen Niveau bleibt.

Nutzt Liliom (Arnold Preuß) die Chance, sich zu läutern? Er trifft nach Jahren auf Julie (Marion Zomerland)  und seine Tochter (Dagmar Karstens)

"Liliom" war der Versuch, ein Erfolgsstück für das Niederdeutsche Theater zu adaptieren. Ein Versuch, der trotz der gelungenen Übertragung und aller Mühen nicht als rund zu bezeichnen ist. Dennoch: Man sollte sich die Aufführung ansehen.